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Lynne Cooke über die Kunst von Rosemarie Trockel

Sep 28, 2023Sep 28, 2023

IM SOMMER 2022 löste Susanne Pfeffer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, die traditionsreiche Sammlung der Institution im Vorgriff auf eine bevorstehende Ausstellung auf. Die umfassende Retrospektive mit dem einfachen Titel „Rosemarie Trockel“ würde das gesamte postmoderne Meisterwerk von Hans Hollein umfassen.1 Als nächstes ging Pfeffer auf den inhärent verwirrenden Charakter des labyrinthischen Entwurfs des Architekten ein. Sie lehnte eine streng chronologische Anordnung und didaktische Formen institutioneller Anleitung an den Wänden ab und vermittelte ihrem Publikum ein ungewohntes Maß an Entscheidungsfreiheit. Während Besucher durch die Galerien, Durchgänge, Zwischengeschosse, Balkone, Aussichtspunkte und verschiedenen Nischen navigieren, in denen die über 350 Werke installiert sind, ahmen ihre umständlichen Wege die Züge von Trockels rekursiver, rhizomatischer und iterativer Praxis nach.

Wenn sie sich auf diese selbstgesteuerten Reisen begeben, ist das erste Werk, dem sie begegnen, Prisoner of Yourself, 1998. Das leuchtend blaue Dado ist auf die gewaltigen Dimensionen der dreieckigen Vestibülgalerie des MMK skaliert und direkt auf die Wände gedruckt alle, die den lichtdurchfluteten Raum betreten. Mit einem Schleifenmuster, das aus einem Strickstoffmuster abgeleitet ist, dient „Prisoner of Yourself“ auch als dekorativer Träger für drei aktuelle Skulpturen: Challenge, 2018; Dans la Rue, 2019; und Cage Doré, 2021. Prisoner erinnert an die bearbeiteten Wollgemälde, die Trockel Mitte der 1980er Jahre zu internationalem Ruhm verhalfen und die für das allgemeine Museumspublikum bis heute ihr Markenzeichen sind. Im Gegensatz dazu dürfte es selbst Trockel-Liebhabern schwer fallen, den Autor der bescheidenen Keramikreliefs zu identifizieren, wenn sie irgendwo anders darauf stoßen. Hoch über der Stirnwand hängt eines der ikonischsten Werke des Künstlers, ein lebensgroßes Bronzesiegel, das mit einem Halsband aus künstlichem blondem Haar geschmückt ist, an einer Kette um seine Flossen.2 Noch höher sitzt Miss Wanderlust, 2000, auf einem Fenstersims in der Vorraumgalerie, von wo aus er das ungleiche Ensemble unten durch ein Fernglas überwacht. Vertraut und unbekannt, frisch geprägt und altmodisch, dieser Werkzusammenhang sollte nicht leichtfertig übergangen werden. Die Installation ist echter Trockel: sparsam, elegant, elliptisch.

In der heutigen Kunstwelt ist ein hochkarätiger Signaturstil zweischneidig geworden, sowohl eine Quelle beruflichen Ansehens als auch ein Auslöser tiefer Ängste. Unter dem Druck von Erfolg und Kritikerlob steigern die reich belohnten Künstler allzu oft die Produktion ihrer zuverlässig vermarktbaren Angebote auf Kosten des kreativen Wachstums. Ein solcher Vorwurf kann Trockel nicht vorgeworfen werden.3 Ihr Eröffnungsspiel beschwört dieses Gespenst der Gefangenschaft performativ – um es dann mit einer bravourösen Geste zu vernichten. Seit mehr als dreißig Jahren loben Kommentatoren ihrer Arbeit – Künstler, Kunsthistoriker, Kritiker, Kuratoren und Kulturtheoretiker – einhellig die gestaltverändernde Qualität ihrer Kunst. Wie mit einer Stimme verkünden sie den unbestimmten, unfixierten, schwer fassbaren Charakter dessen, was zu einem riesigen Korpus in einer beeindruckenden Bandbreite von Genres, Formen, Medien und Techniken geworden ist.4

Im Jahr 1988 – also bevor irgendein charakteristischer Stil drohte, ihre Praxis zu dominieren – identifizierte Trockel die „Konstanten“, die ihre vielgestaltige Vision befeuerten, als „Frau, Inkonsistenz, Reaktion auf Modetrends“.5 Im Großen und Ganzen steht die Frau im Mittelpunkt von drei der verbleibenden vier Galerien auf Ebene eins.6 Das Trio aus dunklen, dicht bestückten Räumen ist hauptsächlich den frühen Jahren des Künstlers gewidmet und umfasst zahlreiche kanonische Werke mit Schlüsselmotiven wie ausgeblasenen Eiern, heißen Tellern und Firmenlogos. Betrachten Sie Sabine, 1994, einen Digitaldruck, der eine nackte Brünette mit Sonnenbrille zeigt, die unsicher auf einem kleinen Herd in einer bescheidenen Küche steht. Trockel reimt die Pose ihres Motivs auf die der hockenden Aphrodite und verleiht dem frauenfeindlichen Szenario eine beißende Note. Wenn Sabine im MMK an der Spitze einer hohen dreieckigen Galerie installiert wird, spielt sie buchstäblich deren vorherrschende Thematik aus: Zwang und Gefangenschaft. Das Video „Mr. Sun“ aus dem Jahr 2000, das auf eine hängende Leinwand in der Nähe projiziert wird, ist noch erbärmlicher: Während die Kamera lasziv über einen glänzenden Ofen kriecht, singt Brigitte Bardots Stimme: „Bleiben Sie eine Weile, Mr. Sun.“ An der angrenzenden Wand dominiert ein großes Strickgemälde, hergestellt in Westdeutschland, 1987, auf dessen Oberfläche sich das gleichnamige anglophone Markenzeichen seriell wiederholt. Das Logo wurde 1973 geprägt, um die hohe Qualität der in der DDR (im Gegensatz zur DDR) hergestellten Produkte für einen internationalen Markt zu garantieren. Es symbolisiert das Wirtschaftswunder, das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, in dem Trockel im Rheinland erwachsen wurde. In diesem Zusammenhang dient die Merchandising-Marke dazu, die Bedeutungen einer unterdrückerischen patriarchalischen Gesellschaft zu lokalisieren, die in der gesamten westlichen Welt verbreitet ist. Das Herzstück der folgenden Galerie, Daddy's Striptease Room, 1990, offenbart mehr vom Charakter dieses chauvinistischen Hegemonialregimes: Durch eine fernsehförmige Öffnung, die in die Seite eines Kartons geschnitten ist, kann der Betrachter ein Architekturmodell des Kölner Doms erspähen. Aus: Briefe an Gott (1994) hingegen zeigt den Schmerz und die Enttäuschung auf, die junge Frauen empfinden, wenn sie mit der unerbittlichen Verletzlichkeit von Vorbildern, Pin-ups und Idolen konfrontiert werden. Zu einem kurzen Clip der bald vermählten Marilyn Monroe, die durch die invasiven Blicke der Paparazzi (außerhalb der Kamera) verunsichert ist und sich an ihren stoischen Gemahl Arthur Miller klammert, fügte Trockel einen Voice-Over-Auszug aus einem anderen Kontext hinzu: „Körperlich, „Mir geht es ziemlich gut, aber geistig liege ich im Koma“, erklärt die Schauspielerin. In diesem spannungsgeladenen Kontext erhält Childless Figure, 1970/2011, eine düstere Selbstreferenzialität. Einundvierzig Jahre nachdem sie die karge Zeichnung einer einsamen Frau gezeichnet hatte, befestigte Trockel sie an einer Tafel, deren leere Raumfläche die Aura der Entfremdung und Ausgrenzung des Subjekts verstärkt.

Insgesamt lassen die stromlinienförmige Auswahl, die enge Gegenüberstellung und die spannungsgeladene Abfolge dieser Galerien auf Pfeffers kuratorische Handschrift schließen.7 Keine frühere Trockel-Retrospektive hat sich so schonungslos mit Darstellungen von Frauen beschäftigt, die durch tief verwurzelte religiöse, soziale und kulturelle Strukturen und Ideologien. Auch die damit einhergehenden Veränderungen im affektiven Register zwischen messerscharfer Wut, schwelender Frustration, Trostlosigkeit und, seltener, zärtlicher Rücksichtnahme und hart erkämpfter Empathie wurden noch nie so deutlich aufgedeckt. Der kumulative Effekt scheint darauf ausgelegt zu sein, die dringende Aktualität von Trockels Projekt heute zu unterstreichen. Im letzten Teil dieses Trios von Galerien im Erdgeschoss verlagert sich der Fokus auf die Kunstwelt. Über achtzehn lange Minuten stellt „Continental Divide“ (1994) die Künstlerin selbst in den Mittelpunkt, die von ihrem Alter Ego beschimpft und verprügelt wird, weil sie es wiederholt versäumt hat, die Größten unter ihren Zeitgenossen richtig zu benennen. Wenn auch vorübergehend – denn die Videoprojektion ist in einer Schleife – und unter erheblichem physischen und psychischen Aufwand, tritt eine hartnäckige Widerstandskraft in den Vordergrund.

Damit der Betrachter nicht glaubt, das Thema sei erledigt, wird er beim Verlassen dieses höllischen Strudels mit einem aktuellen Werk mit dem vielsagenden Titel „Misleading Interpretation, 2014“ konfrontiert. Das mit gesättigter roter Tinte gedruckte Digitalfoto zeigt eine Frau mit maskierten Augen, aus deren Augen Blut tropft Nasenloch. Würde es nicht ausdrücklich vor einer oberflächlichen Zuschreibung warnen, könnte es sich um ein Selbstporträt handeln. Wie so oft in Trockels Kunst erweist sich der Titel als wichtig und zutiefst verwirrend zugleich. Wenn die irreführende Interpretation an dieser Stelle eingesetzt wird, dient sie dazu, deterministische kritische Lesarten zu entgleisen und den Abschluss biografiebasierter Erklärungen zu verhindern.

Wie die vernichtende Kritik des Künstlers an der deutschen Nachkriegsgesellschaft, ihren geschlechtsspezifischen Ideologien und einer Kunstszene, die von herrisch machohaften, machtbesessenen Malercliquen dominiert wird, zeigt, waren diese subjektiven Erfahrungen zutiefst beeindruckend. Doch Trockels Kunst lässt sich ebenso wenig auf eine persönliche Erzählung reduzieren, wie sie als feministische Kunst tout court definiert (und marginalisiert) werden kann. Um auf ihre Aussage von 1988 zurückzukommen: „Inkonsistenz“ schließt per Definition die Wiederholung einer vorhersehbaren Gleichheit aus. Ihr Werk war in diesem ersten Jahrzehnt nicht nur sehr vielfältig, auch ihre künstlerische und politische Position, die nie polemisch oder didaktisch war, war nicht leicht zu lokalisieren. Indem sie sich Strategien der Nähe und Distanzierung zu den Machtzentren der Kunstszene zu eigen machte, suchte sie nach Entscheidungsfreiheit und Inklusion zu ihren eigenen Bedingungen.8 Was Trockel mit der dritten ihrer Konstanten, „Reaktion auf Modetrends“, gemeint haben könnte, wird in dieser Ausnahme nicht dargelegt Interview. Es ist jedoch erwähnenswert, dass sie sich im vergangenen Jahr nicht zurückgehalten hat, als sie Vorbehalte gegenüber der heutigen feministischen Kunst der zweiten Welle geäußert hat, die sich auf „Frauenarbeit“, häusliches Handwerk, Selbsterfahrung, konfessionelle Formen und Essentialisierung konzentriert Tropen.9

1983 hatte Trockel ihre erste Einzelausstellung in Köln in der Galerie ihrer engen Freundin Monika Sprüth, die zunächst überwiegend Künstlerinnen vertrat, darunter die Amerikanerinnen Jenny Holzer, Barbara Kruger, Louise Lawler und Cindy Sherman. Ihre konzeptionell orientierten Praktiken wehren sich dagegen, in einem Ghetto weiblicher Künstlerinnen zugunsten einer zentristischen Position ins Abseits gedrängt zu werden, in der sich Entscheidungsfreiheit in Form von Macht und Inklusion manifestiert. In diesen Gleichgesinnten fand Trockel ihre engste intellektuelle und ästhetische Gemeinschaft, die weiterhin für Kontext und Verwandtschaft sorgt.

Vor dem Aufstieg zur zweiten Ebene werden die Besucher mit einem letzten Paar verwandter Werke konfrontiert; Jedes ist mit Waffen ausgestattet.10 Less Sauvage Than Others, Contribution for a Children's House, 2012, ist in einer Höhe platziert, die für ein Kleinkind geeignet ist, und besteht aus sieben Spielzeugpistolen aus Bronzeguss. Der göttliche Funke, 1998, ein Acryl auf Papier, zeigt das kurzgeschnittene Gesicht einer Figur mit wild starrenden Augen und einer Waffe an den Schädel. Trockels Titel bezieht sich wahrscheinlich auf „The Act of Creation“, einen bahnbrechenden Text, den sie gelesen hatte und in dem der Kulturtheoretiker Arthur Koestler das untersucht, was er den „göttlichen Funken“ nennt (daher ihr Zitat). Indem er gewohnheitsmäßiges Denken durch eine originelle Reaktion ersetzt, „zeigt der spontane Einsichtsblitz … eine vertraute Situation oder ein vertrautes Ereignis in einem neuen Licht.“11 Trockels rätselhafte Verbindung des Referenten mit einem Bild voller Gewalt, Angst und Aggression legt nahe, dass Koestlers Konzept Die transzendente Erleuchtung wird durch Gefahr und Dominanz entzündet. Und so steht es als Paradigma der Kreativität im Gegensatz zu den skurrilen, aleatorischen, spielerischen und forschenden Modi, die im Alltäglichen – dem Alltäglichen und Gewöhnlichen – verwurzelt sind und ihre Fantasie beflügeln. Und die wiederum zu Modellen für die Konstruktion von Bedeutung werden, während sich das Publikum auf den Ebenen zwei und drei durch die Ausstellung bewegt. Denn hier wechselt die Ausstellung ihren Gang und die kontrapunktischen kuratorischen Methoden, die früher die Erfahrungen der Besucher prägten, verzahnen sich: Ausstellungsstrategien lockern sich und öffnen sich. Es kommt eine rhizomatische, dezentrierte, nichthierarchische Logik der Konnektivität ins Spiel, die die notwendigerweise kontingente, umständliche und kontextuelle Natur der Bedeutung in Trockels Welt unterstreicht.

Die größte Galerie, die die Reihe verschiedener Räume auf dieser Etage verankert, ist hauptsächlich in Bezug auf Tiere und Tierwesen organisiert. (Mehrere kleinere Galerien sind einzelnen Gruppen verwandter Arbeiten gewidmet: Hoffnung [Hope], 1984, ein Zyklus von Zeichnungen in Gouache, Aquarell, Tusche, Pastell und Kreide, thematisiert Primaten; eine andere zeigt eine Reihe von Naturgemälden mit unterschiedlichen Titeln (Historische Schattenkästen von 2012–13.) Als dauerhafte Konstante in der Vision des Künstlers dominieren nichtmenschliche Arten – Vögel, Insekten, Säugetiere, Spinnentiere – das Gemisch verschiedener Werke in einer Fülle von Medien, die hier versammelt sind. (Obwohl das zentrale ortsbezogene Werk A House for Pigs and People, 1997 – das mit Carsten Höller für die Documenta 10 entstand – notwendigerweise fehlt, spielt Ohne Titel [Prototyp für ein Hühnerhaus], 1993, darauf und auf ähnliche Projekte an.) Beziehungen zwischen Arten umfassen Zusammenleben, gegenseitige Abhängigkeit, Ausbeutung, Ähnlichkeit und Andersartigkeit, die sich in Akten der Raubübernahme, Fürsorge, Fürsorge, Empathie, Mimikry, Gleichgültigkeit und vielem mehr manifestieren. Das Herzstück dieses frischen und fesselnden Ensembles ist ein von einer Online-Quelle in Auftrag gegebenes Ölgemälde einer Muskete, Fate, 2022, das an einer Säule festgebunden ist.12 Eines der wenigen Stücke in dieser vielfältigen Reihe, in denen die Hand des Künstlers nicht direkt zu sehen war Involviert destabilisiert dieses neueste Werk die umgebende Intimität mit einer phlegmatischen Kälte, einem Unterton, der auch anderswo in Konstellationen neuerer Werke nachklingt.

Rosemarie Trockel, Fate, 2022, oil on canvas, 19 7⁄8 \u00d7 23 7⁄8\". \u00a9 Rosemarie Trockel\/Artists Rights Society (ARS), New York\/VG Bild-Kunst, Bonn.","copyright":"","pathSquare":false,"pathLarge":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_1064x.jpg","path":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15.jpg","numericKey":10,"crops":{"original":{"270":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_270x.jpg","430":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_430x.jpg","810":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_810x.jpg","1064":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_1064x.jpg"}},"pathOriginalCrop":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article15_1064x.jpg","orientation":"landscape"},{"mediatype":0,"item_id":90640,"id":430657,"mimetype":"image\/jpeg","caption":"*Carsten H\u00f6ller and Rosemarie Trockel, _Ein Haus f\u00fcr Schweine und Menschen_ (A House for Pigs and People), 1997,* mixed media. Installation view, Documenta 10, Kassel. Photo: Heribert Proepper\/AP. ","captionFormatted":"Carsten H\u00f6ller and Rosemarie Trockel, Ein Haus f\u00fcr Schweine und Menschen (A House for Pigs and People), 1997, mixed media. Installation view, Documenta 10, Kassel. Photo: Heribert Proepper\/AP. ","copyright":"","pathSquare":false,"pathLarge":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_1064x.jpg","path":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03.jpg","numericKey":12,"crops":{"original":{"270":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_270x.jpg","430":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_430x.jpg","810":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_810x.jpg","1064":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_1064x.jpg"}},"pathOriginalCrop":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article03_1064x.jpg","orientation":"landscape"}]" class="mobile-full-width">

Das Ausstellungsmachen mit seinen besonderen Protokollen und Präsentationsstrategien spielt in Trockels Praxis eine entscheidende Rolle und prägt Inhalte und affektive Reaktionen. Die hier so vielfältigen Dialoge zwischen den Arten werden zum Dreh- und Angelpunkt der bemerkenswerten szenografischen Installation von MMK. Wie immer in Trockels hochgradig choreografierten Präsentationen wird die Autonomie jedes einzelnen Kunstwerks respektiert, aber hier erhalten Fragen nach Nähe und Distanz eine einzigartige Dringlichkeit. Trockel bekräftigt unsere Gemeinsamkeiten innerhalb des Tierreichs und schlägt vor, dass „unsere Affinitäten nicht einfach freiwillig sind“, argumentiert die Kunsthistorikerin Johanna Burton; sie sind „auch zutiefst elementar.“13

Rosemarie Trockel, CLUSTER V—Subterranean Illumination, 2019, twenty-five ink-jet prints mounted on Forex. Installation view, Museum f\u00fcr Moderne Kunst, Frankfurt, 2022. Photo: Frank Sperling. \u00a9 Rosemarie Trockel\/Artists Rights Society (ARS), New York\/VG Bild-Kunst, Bonn.","copyright":"","pathSquare":false,"pathLarge":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_1064x.jpg","path":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00.jpg","numericKey":13,"crops":{"original":{"270":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_270x.jpg","430":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_430x.jpg","810":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_810x.jpg","1064":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_1064x.jpg"}},"pathOriginalCrop":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article00_1064x.jpg","orientation":"landscape"},{"mediatype":0,"item_id":90640,"id":430665,"mimetype":"image\/jpeg","caption":"*View of “Rosemarie Trockel,” 2022–23,* Museum f\u00fcr Moderne Kunst, Frankfurt. From left: _A Bush Is a Bear_, 2012; _Musicbox_, 2013; _Picnic_, 2012; _Picnic_, 2012. Photo: Frank Sperling. ","captionFormatted":"View of “Rosemarie Trockel,” 2022–23, Museum f\u00fcr Moderne Kunst, Frankfurt. From left: A Bush Is a Bear, 2012; Musicbox, 2013; Picnic, 2012; Picnic, 2012. Photo: Frank Sperling. ","copyright":"","pathSquare":false,"pathLarge":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_1064x.jpg","path":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11.jpg","numericKey":11,"crops":{"original":{"270":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_270x.jpg","430":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_430x.jpg","810":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_810x.jpg","1064":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_1064x.jpg"}},"pathOriginalCrop":"\/uploads\/upload.002\/id25104\/article11_1064x.jpg","orientation":"landscape"}]" class="mobile-full-width">

Im Gegensatz dazu gruppiert die Ebene drei Werke oft hauptsächlich nach Materialien und Genres: Textilien/Gemälde, Keramik/Skulpturen und Fotografie. Unter den kamerabasierten Arbeiten sind die „Cluster“ hervorzuheben, die neueste Typologie im Repertoire des Künstlers. Revision und Rekursion sind für diese Serie, die aus neu konfigurierten Fotoabzügen auf Papier besteht, ebenso grundlegend wie für die Choreografie der gesamten Ausstellung. Viele der Bilder sind in variablen Rastern mit bis zu etwa dreißig Beispielen organisiert und im Laufe von Trockels Karriere in unterschiedlichen Formaten und Kontexten erschienen. Provisorisch und spekulativ, widersetzen sich die „Cluster“ einer narrativen Erklärung zugunsten einer eigensinnigen Querverweisführung, die assoziative Blicke und skurrile Spielereien auslöst.

Im Vordergrund steht auch Trockels tief verwurzelte Obsession für die Malerei – oder besser gesagt, für den privilegierten Status der Malerei in der traditionellen Hierarchie der bildenden Künste und, genauer gesagt, für die modernistische Abstraktion. Mit ironischem und gelegentlich bissigem Witz bestreitet sie seit langem die maskulinistische Bezeichnung des Monochromen und der geometrisch-abstrakten Stile als herausragende Sprache der Moderne. Ihre vielfältigen Woll- und Garnarbeiten reproduzieren direkt und indirekt das Ausmaß und den Anschein der spätmodernen Abstraktion und unterstreichen die materialistischen Ursprünge der Abstraktion im Textilbereich. Trockel würdigt wegweisende Werke von Künstlern wie Anni Albers und Ljubow Popowa nach dem Ersten Weltkrieg und greift dennoch das Erbe der Spätmoderne auf, das sie als ehrgeizige Kunststudentin geerbt hat. Betrachten Sie eine Siebdruckserie ohne Titel aus dem Jahr 1993. Basierend auf einem Stück fein gewebtem Stoff, der durch die Raubzüge von Motten zerrissen wurde, travestieren sie auf raffinierte Weise die transzendenten räumlichen Ansprüche, die im Namen von Lucio Fontanas Schnitten und Einstichen erhoben wurden. Oder denken Sie an die vielen bescheidenen Arbeiten, die sie im Jahr 2000 begann und die aus parallelen Wollfadensträngen bestehen, die über einen Leinwandrahmen gespannt und an den Seiten befestigt sind. Einige lassen sich von Gemälden von Agnes Martin inspirieren, einer Künstlerin, die Trockel seit langem verehrt; andere scheinen Gefallen an solchen umgangssprachlichen Quellen wie dem charakteristischen gestreiften B(r)and von Red Bull zu finden.

Skulptur im Medium Keramik – oder Keramik in Form von Skulptur? In den frühen Morgenstunden, inmitten einer Flut zunehmender Erfindungen, machte Trockel diese veraltete Unterscheidung gegenstandslos. Eingebettet in eine Gruppe überschwänglicher, geronnener Reliefs in einer kleinen Galerie, die für viele Besucher den Höhepunkt der Ausstellung markiert – und den Punkt, von dem aus sie ihren Abstieg beginnen – befindet sich ein zweites Werk mit dem Titel „Prisoner of Yourself“, dieses aus dem Jahr 2016. Im Gegensatz zu Sein Namensgeber aus den 90er-Jahren, der Revenant, ist eine kompakte Tonplatte, die gebrannt, dann mit weißem Schlicker glasiert und mit einer blauen Leiste verziert wird. Eine schwerfällige Kette hält das Eigengewicht bewegungslos an der Wand. Diese quälende Angst vor der Gefangenschaft im Selbst, die als Fesseln und zurückhaltender Anker dargestellt wird, nimmt nun eher die Form einer bewegungsunfähigen Stasis als eines Überschusses an.

Trockels Modellierung einer anspruchsvollen, prinzipiellen Praxis hat sich für Generationen jüngerer Künstler als Keimzelle erwiesen. Sie ist misstrauisch gegenüber den Protokollen und Infrastrukturen der Kunstwelt und hat sich lange geweigert, als maßgebliche Stimme – als Hauptsprecherin und Hauptapologetin – für ihre Vision, Kunst und Ästhetik zu fungieren. Sie verzichtet daher weitgehend darauf, Interviews und Vorträge zu halten und erläuternde Texte zu verfassen. Ebenso scheut sie das Rampenlicht, das auf Berühmtheiten aus der Kunstwelt gerichtet ist, und bringt eine fragende Skepsis gegenüber den wichtigsten Merkmalen beruflicher Leistung (nationale Repräsentation in Biennalen, Retrospektiven zum Ende ihrer Karriere, hochkarätige Preise usw.) zum Ausdruck, obwohl sie dies durchaus beabsichtigt anerkennt Um ihre Preisträger zu loben, balsamieren sie sie allzu oft ein.14 1993 erläuterte die deutsche Malerin und Kritikerin Jutta Koether die Implikationen dieses einzigartigen Modus Operandi: „Ich betrachte die Praxis, als Künstlerin für andere zu arbeiten, als einen wesentlichen Teil von Trockels Werk.“ Künstler, die eine Haltung definieren, konstruieren und verbreiten, die sich von den Identitäten anderer männlich dominierter und besetzter Künstler unterscheidet. Koether untermauerte ihre Argumentation, indem sie Strategien hervorhob, die „sowohl den Entscheidungsprozess in ihrer [Trockels] Kunstpraxis als auch ihre Einstellung zum Kunstbetrieb beeinflussen“, Taktiken und Methoden, die ihre Künstlerkollegen „manchmal als vorbildlich, manchmal als inspirierend, manchmal als …“ erlebten dokumentarische Offenbarung.“15

Im MMK ist Trockels gut abgestimmtes Übungsarsenal voll im Einsatz. Nachdem die Szene sorgfältig inszeniert wurde, ist es den Besuchern anvertraut, sich selbst davon zu überzeugen.

Lynne Cooke ist leitende Kuratorin für Sonderprojekte an der National Gallery of Art, Washington, D.C. Derzeit arbeitet sie an „Woven Histories“, einer für 2023 geplanten Ausstellung, die Verbindungen und Austausch zwischen abstrakten Künstlern und Textildesignern und -produzenten untersuchen wird.

ANMERKUNGEN

1. Um Pfeffers mutigen Schritt in den Kontext zu setzen: Anfang 2022 räumte sie das Gebäude ebenfalls für eine Marcel-Duchamp-Retrospektive.

2. Ohne Titel ("Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss." K.K.:F), 1991.

3. Lucky Devil, 2012, ebenfalls in dieser Ausstellung zu sehen, legt nahe, dass die Angst, die Trockel vor den Gefahren empfand, die mit der Abhängigkeit von der Quelle ihres Erfolgs einhergingen, alles andere als flüchtig war. Im Jahr 2012 zerschnitt sie eine Gruppe früher Strickgemälde, die sie jahrelang aufbewahrt hatte – ihre Rente, wie sie sie ironisch nannte – und balsamierte die Reste in einem Plexiglasbehälter ein. Ihr Vorgehen kann als Exorzismus aller verbleibenden Investitionen – im wörtlichen und metaphorischen Sinne – gelesen werden, die diesen Vorwurf stützen könnten. Als die Plexiglasbox erstmals 2012 im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid in der Ausstellung „A Cosmos“ gezeigt wurde, diente sie als Sockel für die Ausstellung eines bemerkenswerten Exemplars einer großen Krabbe. Im MMK wird Lucky Devil ohne Krabbe im Dialog mit einer Gruppe neuerer Wollarbeiten ausgestellt.

4. Siehe beispielsweise Silvia Eiblmayr, „Rosemarie Trockel: Laudatio anlässlich des Wolfgang-Hahn-Preises 2004“, in Rosemarie Trockel: Post-Menopause (Köln: Walther König, 2006), 14.

5. Quoted in Sidra Stich, "The Affirmation of Difference in the Art of Rosemarie Trockel," Rosemarie Trockel, ed. Stich (Munich: Prestel-Verlag, 1991), 12.

6. Abseits des Trios aneinandergereihter Galerien enthält die vierte eine Gruppe unrealisierter Buchentwürfe aus den Jahren 1982–97, die Trockel 2002 in ihre Ausstellungen aufzunehmen begann. Sie dienen sowohl als Archiv abgebrochener Obsessionen als auch als Aufbewahrungsort ruhender Projekte Das könnte ein zukünftiges Problem sein.

7. Vergleichen Sie zum Beispiel Ausstellungen früher Werke wie „Rosemarie Trockel“, Kunsthalle Basel/Institute of Contemporary Arts, London (1988), mit ihrem Schwerpunkt auf Strickstücken; „Projekte: Rosemarie Trockel“, Musuem of Modern Art, New York (1988), bestehend aus zwei Skulpturen und Zeichnungen, wurde von Holland Cotter rezensiert, der das Werk als „historisierten Expressionismus“ bezeichnet, „Rosemarie Trockel im MoMA“, Art in America, April 1988, 207; und die nordamerikanische Retrospektive der Arbeit des Künstlers von 1991/1992, in der Kokuratorin Elisabeth Sussman in Anlehnung an James Clifford überzeugend über den „ethnografischen Surrealismus“ schreibt. In Stich, Rosemarie Trockel.

8. Johanna Burton bietet eine aufschlussreiche Analyse von Trockels Rolle im Umfeld der Monika Sprüth Gallery in „A Will to Representation: Eau de Cologne 1985–1993“, in Witness to Her Art, hrsg. Rhea Anastas mit Michael Brenson (Annandale-on-Hudson, NY: Center for Curatorial Studies, Bard College, 2006), 191–99.

9. Siehe Jutta Koether, „Interview mit Rosemarie Trockel“, Flash Art, 134, Mai 1987, S. 42. „Das Schmerzlichste und Tragischste“, argumentiert Trockel, „ist, dass Frauen diese angebliche Minderwertigkeit der Frau noch verstärkt haben.“ typisch weiblich.' ... Kunst über Frauenkunst ist genauso langweilig wie Männerkunst über Männerkunst.“

10. Andere Besucher können ihren Rundgang durch die erste Ebene hier beginnen und zur Galerie vier mit den Buchentwürfen umrunden, bevor sie über eine andere Treppe zur zweiten Ebene gelangen.

11. Arthur Koestler, The Act of Creation (New York: Macmillan, 1964). Ich bin Barbara Schroeder zu Dank verpflichtet, die mich auf Koestlers Buch aufmerksam gemacht hat.

12. Genauer gesagt basiert dieses Motiv auf einer nicht funktionsfähigen dekorativen Nachbildung eines Steinschlossgewehrs von Brown Bess, die online verfügbar ist. Die zwischen 1772 und der Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellte Muskete war ein Standardgewehr der britischen Linieninfanterie und eine der ersten industriell gefertigten Waffen.

13. Johanna Burton, "Rosemarie Trockel: Primate," in Rosemarie Trockel (Bregenz, Austria: Kunsthaus Bregenz, 2015), 149–53.

14. Sinnbildlich dafür ist ihre Antwort auf eine Einladung des Museum Ludwig in ihrer Heimatstadt Köln im Jahr 2006. Am Eingang der umfangreichen Überblicksschau, die sie „Post-Menopause“ betitelte, installierte Trockel Ja, aber, 2005 Besucher gelangten durch im häuslichen Maßstab gestaltete Türen in das monumentale Portal, das aus blutroten und weißen Wollgarnsträngen gefertigt war. In mehreren Galerien dahinter dienten an den Wänden mehrerer Galerien angebrachte Regale in erster Linie als provisorische Aufbewahrungsbehälter für kleine Werke. Einige boten einen eingeschränkten visuellen Zugang zu ihren Inhalten; andere verhinderten sogar eine oberflächliche Prüfung ihres Inhalts.

15. Jutta Koether, „Out of Character: Die Strategien für die visuelle Praxis einer Künstlerin in Deutschland“, in Rosemarie Trockel, Hrsg. Gregory Burke (Wellington, Neuseeland: City Gallery, 1993), 23.